Die große Lust an einer Sinneswelt auf Zeit
Wie in Düdelingen eine 360-Grad-Installation dem Publikum auf neue Art Bahnbrechendes vermitteln soll
Es musste ja so kommen: Da wollen Émile Schlesser, Michel Reis, Marc Demuth und Paul Wiltgen vor versammelter Presse, den Esch2022-Betreuern, den Organisatoren im Centre opderschmelz und Fachvertretern ihr Projekt vorstellen und dann streikt die Technik. Ein Pfeifen stört den Ton, erste Nervosität im künstlerischen Team kommt auf. An den Mischpulten wird alles noch einmal gestartet – für den ersten Eindruck muss es jetzt gelingen. Ein wenig Mitleid kommt auf. Schlesser hatte schon gewarnt:”Wir sind noch in der Probenphase”. Verziehen ist das dann nach ein bisschen Warten auf die Problemlösung schnell, als klar wird, was da im Werden ist.
Nämlich genau an der Panne zeigt sich, wie schwer das im Endeffekt so vielschichtig schillernde Projekt “Synaesthesia” in der technischen Umsetzung ist; von und mit Luxemburger Beteiligten ein absolutes Novum. Wie der Werbetext formuliert, ist es als eines der Highlights zum Ende des Kulturhauptstadtjahres eine begehbare Rauminstallation mit holografischer 360-Grad-Videoprojektion, eine “traumartige Sinneswelt” soll entstehen, “eine Live-Übersetzung der Musik in Farbe, Form und Bewegung”.
Wie? Eine Lichtshow zu Musik scheint doch irgendwie normal. Aber: “Bild und Klang beeinflussen sich gegenseitig, reagieren in Echtzeit aufeinander, und formen so eine multisensorische Symbiose [...], inspiriert durch das neurologische Phänomen der Synästhesie”, schreiben die Macher. Das bedarf der Erklärung – zumindest, wenn man hinter die Kulissen dieses 360 Grad-Theaters schauen will.
Musik ist Farbe, Farbe ist Musik
Ausgangspunkt ist das persönliche Empfinden von Schlesser. Der Filmemacher hat schon öfter für das Trio gearbeitet und Videos für die Promotion ihrer Arbeit gedreht. Doch Reis-Wiltgen-Demuth wollten für Esch2022 mehr. Ihre gemeinsame Basis: Das Übereinanderlegen von eigentlich getrennten Sinnesempfindungen – Synästhesie, die bei einigen Menschen wie eben Schlesser im Gehirn gegeben ist, wird so erfahrbar: Der große Saal des Centre opderschmelz in Düdelingen wird zu einem Schmelztiegel für die Sinne aus Musik und live abgemischter Projektion, der den 75 Teilnehmern pro Vorstellung sehr nahe gehen soll.
Schlesser hat zunächst visuelle Sequenzbausteine und Szenendramaturgien vorgefertigt, die er sich für die einstündige, vom Trio eigens aus ihrem Portfolio erweiterte und angepasste Musik erdacht hat. Diese abrufbaren Bausteine mischt er mit den live zusammenkommenden, digitalen Daten aus der Musik. Dazu beeinflusst das Live-Feeling, die gemeinsamen emotionalen Eindrücke des Quartetts die Abmischung, die dann in den sanft abgetrennten Publikumsraum zusammenfließt. Das nur durch einen halbtransparenten Vorhang aus dem Publikumsraum erkennbare Quartett kann dann durchaus improvisieren, sich gegenseitig Impulse geben und leicht akzentuieren. Damit ist jede der geplanten acht Vorstellungen ab Freitag, dem 25. November, anders.
Drei Jahre an Vorbereitungen in die Gestaltung von Komposition bis technischer Umsetzung sind seit den ersten Gesprächen in diese Zusammenarbeit geflossen. Und spürbar können es alle Beteiligten kaum erwarten, wie die Reaktionen des Publikums auf diese Form der künstlerischen Auseinandersetzung ausfallen werden.
Wie das Team in seinen einleitenden Bemerkungen betont, kommen hier endlich Fäden dieses verwobenen Spektakels zusammen, die fein abgestimmt werden müssen, damit die Illusion im Ganzen gelingt. Technisch schwierig in Live-Athmosphäre konzentriert zu arbeiten und gleichzeitig damit für das Aufbrechen von Genregrenzen zu sorgen – darin liegt für alle Beteiligten offenkundig der Reiz.
Ein Spektakel, das sich perfekt in das Esch2022-Leitmotiv "Remix" einreihe, wie „Cultural Programme Director" Françoise Poos aus der Organisationsspitze des Kultur- hauptstadtjahres im Rahmen des Previews be- tont. Ob das gelingt, muss nun das Publikum entscheiden.
Drei Fragen an Émile V. Schlesser
Was unterscheidet diese Produktion von der ganz allgemeinen Lightshow, die überall stattfinden könnte?
Ich habe ein Faible für die ganze Showwelt und ihre Technik – gerade auch im Publikum selbst. Ich liebe so etwas, sich völlig dieser Illusion hinzugeben. Und ich glaube, das ist vor allem das, was mich interessiert. Nicht nur hier, sondern insgesamt. Das, was mich an Kunst, an Filmen und auch an Musik so reizt, ist eben dieses Spiel mit der Illusion. Dass man in diesem Fall aus Holz und Metall Klänge herausholt, die dann Emotionen auslösen in den Herzen des Publikums – für mich ist das Wahnsinn. Ich kann nun dank Metall, Lasern und Mikrochips meinen Teil dazu beitragen; und das alles nur, damit eine Illusion entsteht, dass Menschen etwas fühlen können.
Und hier haben wir versucht, das wirklich bis an die oberste Spitze zu treiben. Wir beeinflussen uns untereinander, hier verschränken sich die Künste. Bei den meisten Live-Shows steht die Musik im Vordergrund und das Licht ist halt nur da, um das ein bisschen aufzuhübschen. Hier ist es wirklich demokratisch, sozusagen eine Vermählung aus beiden Medien, die einander permanent beeinflussen. In dem immersiven 360 Grad-Setting wollen wir bewusst überwältigen. Man kann in dieser einen Stunde in eine völlig andere Welt abtauchen und dieses Konzept in sich aufsaugen. Wir versuchen, spielerisch Gefühle zu erkunden; mit den Köpfen, mit den Herzen zu spielen.
Sie gehören zu den geschätzt rund vier Prozent der Weltbevölkerung, die als Synästhetiker Sinneseindrücke im Gehirn koppeln. Sie reagieren zum Beispiel mit Farben auf Töne - oder geben Wochentagen und Monaten gedanklich Farben. Ist das Kon- zept ein inszenierter Blick in Ihr Innerstes?
Es ist schon ein Einblick in meinen Kopf; ein sehr intimer Einblick, ehrlich gesagt. Die Synästhesie, diese besondere Kopplung, ist die Grundlage des Konzepts. Für mich ist das ein endloser Brunnen an Inspiration – ich genieße meine Synästhesie sehr. Es war für mich klar, dass ich in meinem Leben etwas machen möchte, in dem das dann auch irgendwie zum Einsatz kommt. Und das hilft mir zum Beispiel sehr bei Texten und beim Filmemachen.
Was kann der Regisseur Émile Schlesser von seiner Rolle als Multi- mediaspezialist in diesem Projekt lernen?
Sehr viel. Ich komme ja eigentlich aus der Bildenden Kunst. An der Düsseldorfer Kunstakademie habe ich unter anderem als Student bei Markus Lüpertz in der Malerei meinen Ausdruck gesucht. Das hat sich mit dem Studium immer mehr Richtung Installationen und letztlich in den Filmbereich verschoben. Im Hinterkopf hatte ich immer diese große Liebe und Faszination für das Kino, seine Geschichten und klassisches Storytelling mit Anfang, Mitte und Schluss.
Irgendwann wurde es mir dann in der Kunstwelt zu abstrakt. Dass ich dann mitten in der Coronazeit für den Kurzfilm,,Superhero" ausgezeichnet wurde, hat mir einen weiteren Schubs gegeben, mich auf den Film zu konzentrieren. Und andererseits war dieses Projekt, das wir seit Jahren vorbereiten, auch immer da. So kann ich erstmals diese ganze Bandbreite meiner Ausdrücke einbringen. Es ist die perfekte Brücke: Ich kann alles, was mir wichtig ist und was ich gerne mache, wofür mein Herz schlägt, miteinander verbinden; eben auch eine ganz besondere Geschichte über eine Stunde zu erzählen.
Es gibt quasi einzelne Szenen, eine kleine, wie eine auch ganz große Dynamik und Dramaturgie – Wechselspiele zwischen Laut und Leise, Groß und Klein, Hell und Dunkel zum Beispiel. So hilft dann auch der Regisseur dem Multimediakünstler, eine emotional aufwühlende Welt zu schaffen. Und die Grundlage davon waren gezeichnete Storyboards, wie man sie auch für den klassischen Spielfilm machen würde.
Interview: Daniel Conrad